Unabhängig von diesen Betrachtungen kann die Hypothese aufgestellt werden, dass die Kur im mitteleuropäischen Raum auch eine sozio-kulturelle Errungenschaft ist. Sie stellt ein wichtiges und funktionstüchtiges Medizinkonzept neben der ambulanten, hausärztlichen und stationären Behandlung dar.
Historisch hat sich das Bäderwesen aus den ortsgebundenen Heilmitteln (zum Beispiel Quellen, Moore) entwickelt. Später kamen die Faktoren Klima und Umwelt hinzu. Heute führt die optimale Kombination dieser Faktoren mit den Möglichkeiten der physikalischen Therapie und des Gesundheitstrainings sowie mit der notwendigen schulmedizinischen Behandlung zu einem komplexen, spezialisierten Kursystem und bestimmt somit die moderne Kurortmedizin.
Allgemeine Wirkfaktoren, wie Milieu-, Klimawechsel und Harmonisierung, sowie spezielle Therapiefaktoren wie Hydro-, Thermo-, Balneo- und Übungstherapie, Ernährungstherapie, Physio- und Phytotherapie sowie Gesundheitsbildung dienen der Prävention, Therapie und Rehabilitation vieler zivilisationsbedingter Schäden und Erkrankungen.
Die therapeutische Zielsetzung ist eingeteilt in
Oberziele:
- Gesundheitsförderung
- Gesundheitsvorsorge
- Rehabilitation
- Vermeidung von Pflegebedürftigkeit
Unterziele:
- Indikations- und bedarfsgerechte Auswahl sowie individuelle Vorbereitung der Kurteilnehmer
- Qualifizierte Kurdurchführung
- Geregelte Kurnachsorge
Heute präsentiert sich die moderne Kurortmedizin:
- Effektiv (Kurforschung)
- Effizient (positiver Kosten-Leistungsfaktor)
- Qualitätsgesichert (gütezertifizierte Kurorte, Kurformen, Kureinrichtungen) und erfüllt hohe Therapieansprüche (exakte Behandlungspläne)
Eine medizinische Kur umfasst individuell abgestimmte Einzeltherapien, die in einem definierten Zeitrahmen regelmäßig wiederholt werden. Indikationen für Kuren sind vor allem chronische Erkrankungen, bei denen eine ganzheitlich ausgerichtete Verbesserung des Gesundheitszustandes angestrebt wird.
Die Kureffekte sind vielfach wissenschaftlich untersucht und belegt. Kureffizienz ist die Verhältnismäßigkeit von Aufwand zu Ertrag einer Kurmaßnahme und betrachtet neben den medizinischen auch sozialmedizinische und ökonomische Aspekte. Qualitätssicherung ist der dynamische Prozess aller an der Therapie Beteiligten zur Beibehaltung beziehungsweise Verbesserung der Standards.
Bei der medizinischen Kur werden verschiedenste therapeutische Maßnahmen, wie zum Beispiel Physiotherapien, Entspannungsverfahren und Diäten seriell über einen definierten Zeitraum (meist ca. 3 Wochen) durchgeführt. Über die bloße Addition der Einzeleffekte hinaus erzielt man hierbei über Trainingseffekte und kumulierende Reizreaktionen die angestrebten Wirkungen.
Die Kurmedizin bedient sich der Erkenntnis, dass eine therapeutische Maßnahme nicht nur für sich selbst betrachtet eine spezifische Wirkung hat, sondern diese auch sehr stark sowohl vom subjektiv empfundenen als auch vom formalen zeitlichen und örtlichen Umfeld abhängt. So erklärt sich, warum therapeutische Maßnahmen sehr unterschiedliche Wirkungen und Langzeiteffekte haben, abhängig davon, ob sie während des (Berufs-)Alltags oder innerhalb eines Kuraufenthaltes erfolgen.
Dieses therapeutisch positiv wirkende Ambiente (»Kurmilieu«) ist im weitesten Sinn in Kurorten oder Heilbädern gegeben. Hier herrscht in der Regel eine gewachsene Infrastruktur vor, die zusammen mit der vorhandenen therapeutischen Erfahrung und den ortsspezifischen Heilmitteln die Grundprinzipien der Kurortmedizin definiert.
Die Kureffekte beschreiben die Wirkung einer entsprechenden Kurmaßnahme. Es gibt zu nahezu allen bekannten Kureffekten entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen und Belege für die spezifischen Einzelwirkungen. So sind immunstimulierende, muskelrelaxierende, stoffwechselaktive und kreislaufanregende bzw. -stabilisierende Wirkungen der unterschiedlichsten Physiotherapien wissenschaftlich belegt. Oft unterschätzt sind die Auswirkungen der subjektiven Befindlichkeit des Patienten. Dies hat einen wesentlichen steuernden Effekt auf den Medikamentenverbrauch, die Arbeitsfähigkeit und auf das Rentenbegehren. Verbesserungen der Lebensqualität, wie sie durch keine andere medizinische Maßnahme so erfolgreich wie bei der Kur erreicht werden können, stellen somit einen großen Gewinn für den Patienten sowie ein großes Einsparpotential für die Sozialversicherungen dar.
Bei der Kureffizienz wird der Kureffekt in ein Verhältnis zum zu erbringenden Aufwand gesetzt. Hohe Kureffizienz bedeutet hierbei ausgeprägte Wirkung bei relativ geringem Aufwand.
Während der Effekt einer Einzelwirkung noch verhältnismäßig einfach mit geeigneten Versuchsanordnungen untersucht werden kann, steht die Effizienzforschung vor einem sehr großen systemspezifischen Problem: Standards, wie sie bei den sonst üblichen statistischen Analysen im Pharmasektor üblich sind, können aus prinzipiellen, theoretischen Gründen nicht eingehalten werden. So ist die Durchführung einer vergleichenden »Placebo-Kur« ebenso wenig möglich wie aus sozialmedizinischen, finanziellen und ethischen Gründen eine Randomisierung (zufällige Zuteilung von Patienten zur Kur). Diese Probleme lassen sich jedoch bei entsprechend hoher Zahl an Probanden und einem differenzierten Studiendesign zu einem Großteil statistisch beherrschen, sodass entsprechend signifikante und valide Aussagen getroffen werden können.
Ein Beispiel für eine solche Effizienzuntersuchung ist die aktuelle Kneippkur-Studie. Hier wurden Wirksamkeit und Effizienz eines komplexen Therapiekonzeptes, wie es die Kneippkur mit ihren verschiedenen therapeutischen Ansätzen darstellt, untersucht. Neben wichtigen Aufschlüssen über Möglichkeiten und Probleme eines praktikablen, wissenschaftlichen Studiendesigns bei einer so komplexen Fragestellung wurden auch sozialmedizinisch bedeutsame Erkenntnisse gewonnen. Dadurch konnten Fragen nach Wirtschaftlichkeitsaspekten für die Krankenversicherungen und nach relevanten sozialökonomischen Fragestellungen beantwortet werden. Ein wesentliches Ergebnis war hierbei, dass zum Beispiel die im deutschen Gesundheitssystem verankerte »ambulante Badekur« – durchgeführt als ambulante Kneippkur – nicht nur die medizinisch erwünschten Effekte hatte (Kurwirkung). Sie war auch dadurch effizient (Kureffizienz), weil die erzielten Einsparungen bei den Krankheitskosten im Folgejahr nach der medizinischen Kur die Kosten der Maßnahme deutlich übertrafen.
Der Kurbehandlung hat die moderne Kurortmedizin neue Perspektiven eröffnet. Der Patient lernt, sich aktiv um seine Gesundheit zu kümmern. Er erfährt, dass eine gesundheitsbewusste Lebensweise nicht mit allen möglichen Unbequemlichkeiten und Einschränkungen verbunden ist, sondern dass ein Mehr an Gesundheit und körperlichem Wohlbefinden auch ein Mehr an Lebensfreude und Aufnahmefähigkeit für die wichtigen Dinge im Leben mit sich bringt.
Erst die moderne Kurortmedizin ermöglicht durch optimale Vernetzung von ortsgebundenen Heilmitteln, Kurortmedizin und komplexen sowie interdisziplinären Therapiekonzepten eine effektive und effiziente Prävention, Therapie und Rehabilitation vieler zivilisationsbedingter Schäden und Erkrankungen.
Die medizinische Behandlung obliegt Ärzten, die eine Zusatzausbildung in »Balneologie und medizinischer Klimatologie« und meist im Bereich »Naturheilverfahren« absolviert haben. Erst nach einer mindestens 1-jährigen Tätigkeit am Kurort unter Anleitung kompetenter Ärzte können sie als Kur- oder Badearzt für die Sozialversicherungen tätig werden. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann der Arzt zudem das Kneipparzt-Diplom der Ärztegesellschaft für Präventionsmedizin und klassische Naturheilverfahren, Kneippärztebund e.V., erwerben. Die Therapeuten sind staatlich anerkannte »Kneipp- und Kurbademeister/innen« und/oder staatlich geprüfte Masseure und Krankengymnasten, die im Rahmen einer spezifischen Ausbildung spezielle Kenntnisse mit den ganzheitlichen Naturheilverfahren der Kneipptherapie erworben haben.
Der Verband Deutscher Kneippheilbäder und Kneippkurorte hat 65 Mitgliedsorte, die ihre Existenz auf die Lehre von Pfarrer Sebastian Kneipp gründen. Der Verband vertritt die Interessen seiner Mitglieder in der Politik, gegenüber Belegungsträgern und in der breiten Öffentlichkeit. Ein Generalziel ist die Qualitätssicherung.
Die »Gütegemeinschaft Kneippkureinrichtungen« vergibt und überwacht die Prädikatisierung der anerkannten Kneippkureinrichtungen nach den europaweit gültigen RAL-Kriterien.